Alfred Regnat | Künstler

Dialog zwischen Geist und Materie

zu Alfred Regnats freien Skulpturen von Marc Gundel

Seit 1961 ist Alfred Regnat Steinbildhauer. Er beschäftigt sich mit einem Material, das den Menschen in seiner Entwicklungsgeschichte als Werkzeug ebenso wie als Werkstoff für Kunstwerke kontinuierlich begleitet hat. Stein haftet "Ursprünglichkeit" und "Künstlichkeit" gleichermaßen an; Zeit und Witterung schleifen den nur im Urzustand rohen Stein, die Vegetation überwuchert ihn. Dieser Aspekte ist sich Alfred Regnat bewußt, sie waren für seine Hinwendung zu diesem Material mitausschlaggebend.

Regnat zählt zur Generation der um 1940 geborenen Bildhauer, die sich in der Nachfolge der Symposion-Bewegung mit konzeptioneller und minimalistischer Kunst auseinandersetzten. Mit den führenden Bildhauern der Symposion-Bewegung wie etwa Herbert Baumann (1927-1990), Karl Prantl (geboren 1923) oder Rolf Jörres (geboren 1933), die die gemeinsame Arbeit in der freien Natur 1959 mitbegründet haben, verbindet ihn die Auffassung von Stein als Symbol der Erde und der Verbundenheit des Menschen mit ihr. Damit rücken die Art und Weise des Umgangs mit diesem natürlichen Werkstoff, dessen gewachsene Struktur und Beschaffenheit und damit auch "Individualität" sowie schließlich der Arbeitsvorgang selbst in den Mittelpunkt. Der körperliche und geistige Dialog mit dem Stein führt Alfred Regnat um 1980 zu in sich geschlossenen, geometrischen Skulpturen.

Sie strahlen absolute Ruhe und Beherrschtheit aus und eröffnen dem Betrachter Raum für Kontemplation und Reflexion, was beispielsweise das "Quadrat" (1979) oder die "Verbindung" (1981) belegen. Zugleich veranschaulichen diese Werke durch ihre präzise Durchgestaltung und konkrete Masse – analog zur MinimalArt – physikalische Eigenschaften. Voraussetzung für die Erfahrung von Schwerkraft und Objektqualitäten ist die Grundfläche. Daher lösen bei Alfred Regnat Kubus und Quader den Kreis ab, der innerhalb der Symposion-Bewegung die dominierende Grundforn war. Mit vermeintlich wenigen Eingriffen wie Umgürtungen oder Einkerbungen ruft Regnat ein prozessuales Moment hervor und deutet damit Zeit an. So obliegt es dem Betrachter, sich bei der "Verbindung" eine Verschmelzung vorzustellen oder ein Auseinanderdriften in zwei Teile zu vermuten.

Mitte der 1980er Jahre gelangt Alfred Regnat zu vertikalen plastischen Lösungen, die sich bereits im dreiteiligen Boden-Ensemble mit dem signifikanten Titel "Aufsteigende Form" (1983) ankündigen. In dieser Werkgruppe lotet der Bildhauer die Wandelbarkeit des Steins und dessen materielle Grenzen aus.

 

Den gleichmäßigen Drehungen und Wölbungen sowie dem spielerisch leichten räumlichen Aufstreben nach zu urteilen, sollten Skulpturen aus einem elastischen Material geformt sein. Die "Kleine Stele mit Drehung" (1985) oder "Vierkant gedreht" (1988) vermitteln eine sinnliche und intellektuelle Erfahrung, die vertrauten Konnotationen zuwiderläuft. Herausgearbeitete Binnenstrukturen sowie die Farbnuancen von Granit und Marmor unterstützen den Eindruck von Eigenleben und innerer Kraft. Die vom Künstler sogenannten "Vegetabilen Stelen" scheinen aus röhrenhaften Einzelteilen zusammengefügt und sind die organische Spielart der gedrehten und elliptischen Stelen. Spürbar sind diese Figuren-Zeichen, wenngleich nicht in mimetischem Sinn, auf den menschlichen Körper bezogen.

1990 werden aus den Röhren fünfkantige Steinkörper, deren Mitte Blei durchzieht. Aus dem Umschließen und Umgürten ist ein Bergen geworden. Während die beiden Werkstoffe Basalt und Blei in ihrer mitunter metallischen Wirkung einander ähneln, reizt Alfred Regnat in den sogenannten "Kreisergänzungen" (1996) der Kontrast von Granit bzw. Gabbro und Eisen, die als Gesamtform einen Ring ergeben. Die Wirkung der beiden gleich großen Hälften ist frappierend; die Eisenmasse scheint sich auszudehnen und läßt den Stein spielerisch leicht wirken. Doch bei aller Gegensätzlichkeit der pysikalischen Eigenschaften, der Oberflächen, ihrer Strukturen und der Farbe entsteht ein homogenes, exakt druchgearbeitetes Ganzes. Thematisieren die "Kreisergänzungen" – einmal liegend, einmal stehend – Grundbedingungen dreidimensionalen Gestaltens, verschiebt sich der Schwerpunkt der "Quadratteilungen" (1996) hin zum Verhältnis von Teil und Ganzem. Die Linie ist den "Quadratteilungen" das maßgebliche optische bzw. tatsächliche Gestaltungsmittel, sie bestimmt die Rhythmik des Ensembles.

Verleiten die Skulpturen Regnats den Betrachter zum Befühlen und fordern die sinnliche Erfahrung, geht es in dieser Reliefserie um das gedankliche Durchspielen und Überprüfen der gestalterischen Eingriffe. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich Alfred Regnats Formensprache geklärt. Heute arbeitet er mit Grundformen wie Quadrat und Kreis, die der konstruktiv-konkreten Kunst zuzurechnen sind. Von Anbeginn an ist die Wirkung und Ausstrahlung der Skulpturen auf Ruhe, Ausgewogenheit und Harmonie angelegt; sie bieten sich für eine Reflexion an. Regnats Einfühlung in die Werkstoffe ermöglicht das Freilegen und Entdecken der subtilen Ästhetik der Natur sowie des Reichtums ihrer Erscheinungen. Darüber hinaus verrät Alfred Regnats Umgang mit den verwendeten Materialien Bewußtheit und Verantwortung. Diese Haltung ist beispielhaft zu deuten – für den Umgang mit der Natur, den verschiedenen (Welt-) Kulturen sowie den Menschen untereinander.